20. November 1913 – Kaiser Wilhelm II. verbietet Offizieren den Tangotanz
Das Tango-Fieber bricht Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris aus. Argentinische Musiker, die an die Seine gekommen sind, um Schellackplatten aufzunehmen, gründen eine Tanzschule und bald wird überall in der Stadt Tango getanzt. Auch in London, Moskau und Berlin reiben sich bald Männer und Frauen aneinander, schieben in engen Verschlingungen über die Tanzflächen. So eng und provozierend erotisch ist noch nie getanzt worden. Der irisch-britische Dramatiker George Bernard Shaw sagt: „Der Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens.“
Wilhelm II. bevorzugt Märsche
Kaiser Wilhelm II. ist nicht amüsiert über das frivole Geschiebe aus Südamerika. Er bevorzugt traditionelle Tänze: Märsche, oder wenigstens eine Gavotte oder Polonaise. Selbst Walzer und Polka sind ihm zu modern. Nach dem Besuch einiger Tango-Veranstaltungen soll er gesagt haben, es würde ihn nicht wundern, wenn die Tanzenden zwischendurch wie Affen auf die Bäume geklettert wären und von dort die Zuschauenden mit Kokosnüssen beworfen hätten.
Seine Untertanen lassen sich nicht vom Tango abhalten. Die lebenslustige Gräfin von Schwerin-Löwitz, Gattin des preußischen Landtagspräsidenten, veranstaltet einen Tango-Tee in den offiziellen Räumen des Landtages – mit dabei sind Offiziere in Uniform. Der Kaiser ist außer sich: „Der Tanz ist lasziv und gegen die Sitten!“
Der Kronprinz wird beim Tango-Tanzen erwischt
Ein Berater Wilhelms mutmaßt gar, die Engländer hätten den Tango ins Reich geschleust, um die deutschen Soldaten beim Marschieren aus dem Takt zu bringen. Am 20. November 1913 lässt Wilhelm II. seinen Offizieren das Tango-Tanzen in Uniform verbietet. Als der Kronprinz wenig später beim Tango-Tanzen mit einer lilabestrumpften Dame erwischt wird, greift er endgültig durch. „Wir verpflichten hiermit durch die Hofansage die gesamten Hofstaaten, Chargen und Rekrutierten, sich sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privaten eines ausgesprochen widerwärtigen Tanzes zu enthalten. Auch die Mitglieder der allerhöchsten Familie sind bei Ordre gehalten, sich dieser fremdländischen Unsitte zu entziehen.“
Viel Zeit zum Tanzen bleibt ohnehin nicht: Neun Monate später marschieren die Deutschen in den Ersten Weltkrieg.
Stand: 20.11.1913. Quelle: https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7930.html
Die Bayern, ebenfalls stets auf öffentliche Moral bedacht, folgten ein Jahr später. So verfügte die Königlich Bayerische Polizeidirektion in München: „Zum Fasching 1914 wird der Tango ein für allemal verboten. Nach Sachverständigenurteil ist er mehr ein sinnliches Reizmittel als ein Tanz.“ Denn: „Diese Tänze verletzen das Sittlichkeitsgefühl, weil die Tänzerin dabei häufig die Beine seitwärts abspreizt, sodass man die Unterkleider und die Strümpfe sieht.“
Damit waren die Bayern allerdings päpstlicher als der Papst, und das ganz wörtlich. Zwar verurteilte der Kardinal-Vikar von Rom den Tanz mit diesen Worten: „Es ist unerhört, dass dieser schamlose, heidnische Tanz, der ein Attentat auf das Familien- und Gesellschaftsleben bedeutet, sogar in der Residenz des Papstes getanzt wird.“ Doch nach dem Vortanzen fand Papst Pius X den Tanz ganz in Ordnung, auch wenn er ihn weiterhin ablehnte – wie auch den Wiener Walzer und alle anderen Vergnügungen.
Quelle: El Matadero Tangoclub Soest e.V. https://www.tangoinsoest.de/wordpress/?page_id=592